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Weniger Frust und Widerstand: UX und Change Management in der digitalen Transformation

Nur wenn der Mensch im Mittelpunkt aller UX- und Change-Maßnahmen steht, kann die digitale Transformation gelingen.

16.Mai 2024 · 5 min Lesedauer

Lisa-Marie Linhart

Marketing Specialist

User Adoption, User Experience und Change Management – eine Art „Triumvirat“ bilden diese drei Disziplinen in der digitalen Transformation. Wie sie zusammenspielen müssen und womit man sich darin befasst, erklären Change-Management-Expertin Daniela Fruhmann-Mészáros und Steven Rieck-Lorenz, Art Director UX & Interactive.

User Experience, User Adoption und Change Management: Was ist was?

Steven, woran arbeitet ihr im Bereich UX?

Steven: Im Zentrum unserer Arbeit steht die Frage: Wie gestalten wir eine positive User Experience? User Experience ist nämlich nichts, was man einfach dazu bucht, sondern sie begegnet uns zu jeder Zeit. Ob du beim Fahrkartenautomaten stehst und dich darüber ärgerst, dass der nicht so funktioniert, wie du das möchtest, oder ob du in einer App auf deinem Smartphone intuitiv rüberswipest, das ist User Experience. Und die ist immer da – egal ob wir sie aktiv gestalten oder nicht. Wenn wir sie aber gestalten, dann kann sie richtig gut werden, und das ist unser Job. Die wichtigsten Faktoren dafür sind Utility, Usability und Accessibility sowie Ästhetik. All diese versuchen wir durch unterschiedliche Methoden bestmöglich zu gestalten. Dabei betonen wir immer: Man kann UX nie zu 100 Prozent optimieren, denn es gibt immer etwas, das man nicht steuern kann – zum Beispiel wenn es gerade keine Internetverbindung gibt. Wir können uns aber überlegen, wie man Nutzer:innen in diesem Fall abholt: zum Beispiel durch freundliche Fehlermeldungen oder einfache Hilfestellungen – auch das ist UX. Generell geht es in unserem Bereich sehr viel darum, aus Fehlern und Problemen zu lernen, indem wir Usability Tests durchführen oder Feedback sammeln. 

„Aus Fehlern lernen“ ist wohl die Überleitung zu deinem Bereich, Daniela. User Adoption und Change Management funktionieren ja oft nicht so ganz wie gewünscht. Worum handelt es sich denn dabei eigentlich?

Daniela: Das ist eine sehr gute Frage, denn die beiden Begriffe verschwimmen in der Praxis und sogar in der Fachliteratur oft ineinander. User Adoption ist das Streben danach, dass Nutzer:innen eine neue Technologie, eine neue Software, eine Veränderung in einem Unternehmen so gut wie möglich annehmen und anwenden. Es handelt sich dabei mehr um eine Kennzahl – je höher die User Adoption, umso erfolgreicher ist das Projekt vonstatten gegangen. Change Management bezeichne ich gern als das Projektmanagement der User Adoption. Im Change Management plant man von Beginn bis Ende durch, wie man eine hohe Adoption im Projekt schaffen kann. Wenn man diese beiden Begrifflichkeiten verstanden hat, dann weiß man schon recht gut, was zu meinen Aufgaben gehört und warum sie so eng mit dem UX-Bereich verbunden sind. Durch eine tolle User Experience ist die Annahme einer neuen Technologie natürlich viel höher und wir haben am Ende eine hohe Adoption. Aber auch die Methoden des UX gehören geplant und da sind wir dann wieder im Change Management. Das greift alles ineinander und ist so eine Art Triumvirat – User Experience, Change Management und User Adoption. Alles spielt ineinander, dennoch sind sie für sich stehende Methoden.

Zugang zu den Nutzer:innen: entscheidende Faktoren für gelingende digitale Transformation

Was sind die wichtigsten Faktoren, damit User Experience und User Adoption gut gelingen können?

Steven: Das allerwichtigste ist, mit Nutzer:innen einen Dialog zu finden. Ob in Form von Umfragen, Research oder Fokusgruppen – wir entscheiden immer gemeinsam mit dem Kunden, welche Methode am effektivsten erscheint. Aber der Zugang zur richtigen Zielgruppe ist während des gesamten Prozesses entscheidend, um die Probleme der Menschen zu erfassen und um herauszufinden, ob sie das Tool, die Software oder das Interface auch wirklich verstehen und anwenden können bzw. ihre eigenen Ziele damit erreichen können. Ein Beispiel: Unterschiedliche Zielgruppen erwarten von einer Intranet-Startseite unterschiedliche Informationen – Wir müssen herausfinden, ob sie diese dann auch finden. 

Daniela: Ja, der Zugang zu den Menschen ist essenziell, um die bestehenden Prozesse erkunden und auch herausfinden zu können, welche Maßnahmen getroffen werden müssen, damit die Nutzer:innen auch mit dem neuen Tool arbeiten können. Dann fällt der Widerstand geringer aus. Die initiierenden Stakeholder denken häufig, dass man ein neues Tool einfach nur einführen und ein bisschen schulen muss, und schon wissen alle, wie es funktioniert – das entspricht leider nicht der Realität. Man muss wirklich von Beginn an mit den Anwender:innen sprechen, ihnen Interesse entgegenbringen und tiefgreifendes Verständnis für ihre Prozesse, Themen und Tätigkeiten entwickeln.

Wie sollten IT-Projekte idealerweise ablaufen, damit die neue Technologie am Ende gut von den Nutzer:innen angenommen wird?

Steven: Uns begegnet meistens der Ansatz „technology first“ – man macht mal ein cooles IT-Projekt und am Ende wird geschaut, wie die Leute diese Lösung annehmen. Zielführender ist aber der „Human Centered Design - Approach“ – denn am Ende des Tages entwickeln wir die Technologie für die Menschen, die damit arbeiten. Wir wollen schließlich die Probleme von Menschen lösen, nicht die von Technologien. Daher sollte die positive Nutzungserfahrung von Beginn an in IT-Projekten mitkonzipiert werden.

Daniela: Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Aus einer digitalen Transformations-Sicht solltest du im Idealfall schon beim Kunden sein, noch bevor er oder sie weiß, dass eine neue Technologie gebraucht wird. Also noch bevor ein neues Projekt gestartet wird. Denn dann bist du in der Lage, die IST-Prozesse und aktuellen Probleme zu erfassen. Das ermöglicht dir, bestmöglich auf die Bedürfnisse der Nutzer:innen einzugehen und du hast vor allem auch Zeit, wenn es noch keine Projekt-Deadline gibt. Einer der wichtigsten Faktoren in Change Management und User Adoption ist nämlich Zeit. Denn – hier sind wir wieder bei dem Irrglauben, den ich vorhin angesprochen habe – mit einer Schulung allein ist noch kein Wandel vollbracht. Das bedeutet, im gesamten Transformationsmanagement müssen UX- und Change-Spezialist:innen so früh wie möglich und laufend involviert sein.

Fehlannahmen und Zeitmangel: woran gute Nutzererfahrung häufig scheitert.

Woran haperts denn am häufigsten? Was sind die klassischen Stolpersteine, warum die Nutzererfahrung nicht so gut ist, wie sie sein könnte?

Steven: Ich denke, eines der größten Probleme ist, dass UX-Design häufig rein mit der Optik gleichgesetzt wird. Jeder der schon einmal in einem IT-Projekt mitgearbeitet hat, kennt vermutlich den Satz: Das Design machen wir später – es ist nicht so wichtig, wie es aussieht. Abgesehen davon, dass UX weit über den optischen Eindruck hinausgeht, ist ein ansprechendes Erscheinungsbild, mit dem man sich gut zurechtfindet und wohlfühlt, aber sehr wohl sehr wichtig. Ein von Menschen genutztes Tool muss menschliche Anforderungen erfüllen – nicht nur die technischen. Dieser „technology first“-Ansatz ist ein weiterer Stolperstein. Ebenso wie Fehleinschätzungen. Viele Projektmitarbeiter:innen glauben genau zu wissen, was die User:innen brauchen – haben ihre Annahmen aber nicht überprüft. UX-Designer:innen sind davon übrigens nicht ausgenommen. Es ist eine große Herausforderung, sich immer wieder selbst zu hinterfragen und wirklich bei jedem Projekt ganz individuell auf den Kunden einzugehen – weil sich die Zielgruppe geändert hat, oder gewisse Anforderungen – im Übrigen muss man auch jene immer hinterfragen: Ich hatte einmal den Fall, dass ein Projektleiter entschieden hat, dass eine gewisse Funktion nicht mehr nötig ist, also kam sie erst gar nicht in den Anforderungskatalog. Bei den Usability Tests meldete dann ein beachtlicher Prozentsatz der Nutzer:innen, dass genau diese Funktion fehlt – von der wir gar nicht wussten, dass sie im vorherigen Tool enthalten war. Am Ende ist sie wieder drin gelandet und das war ein sehr positiver Schritt im gesamten Prozess.

Daniela: Ja, Fehlannahmen und zu wenig Recherche im Vorfeld sind sehr häufige Hürden, an denen auch die User Adoption scheitert. Das passiert manchmal aufgrund von Ressourcenknappheit: Man will sich bestimmte Fässer oft nicht aufmachen, weil man schon weiß, dass sie mit dem Projekt-Budget oder der verfügbaren Zeit nicht umzusetzen sind. Das ist sehr verständlich. Ich in meiner Rolle als Change-Managerin muss dann aber darauf hinweisen, dass ein Teil des Projekterfolges so nicht erreicht werden kann. Das ist in vielen Fällen in Ordnung, muss aber entsprechend kommuniziert werden, um Frust und Enttäuschung vorzubeugen. Das möchte ich generell noch als einen der häufigsten Stolpersteine ergänzen: Viele Transformations-Projekte scheitern an fehlender oder zu spät startender Kommunikation. Denn wenn man kommuniziert, mit den Anwender:innen sprechen darf und Prozesse beleuchtet, dann passiert das nicht, dass plötzlich wichtige Funktionen fehlen.

Der Faktor Zeit wurde jetzt schon mehrfach genannt. Wie viel Zeit muss man eurer Erfahrung nach einplanen, um gute UX und hohe User Adoption zu erreichen bzw. nachweisen zu können?

Steven: So pauschal kann man das nicht sagen. Aber es gibt gewisse Zeiträume, in denen ich Usability Testing empfehlen würde, um herauszufinden, wie es den Nutzer:innen aktuell geht. Bei kleineren Projekten kann das schon nach einem bis drei Monaten stattfinden, bei größeren nach sechs Monaten. Man kann nach dem Go-Live oder dem Roll-out auch fix ein Usability Testing nach drei, sechs und zwölf Monaten einplanen und mit den Erkenntnissen dann in eine nächste Phase starten. Wenn ich jetzt ein typisches Intranet-Projekt als Beispiel nehme: Hier empfiehlt sich der erste Usability-Test zum Go-Live und der nächste nach drei Monaten. Dabei überprüft man dann die User Adoption: Wie gut wurde es angenommen und wie gut hat die Nachsorge nach dem Go-Live funktioniert? Mit Go-Live ist ja unsere Arbeit noch gar nicht getan und das Projekt keineswegs abgeschlossen. Bedürfnisse, Rahmenbedingungen, Technologien ändern sich ja laufend.

Daniela: Ja, ich geb dir hier völlig recht. Ein Projekt endet nicht mit dem Go-Live oder der Einführung – im gesamten betrachtet sind wir hier erst bei 70 Prozent des gesamten Umfangs. In den restlichen dreißig Prozent beginnt die Verankerung und damit erst der tatsächliche Change. Da muss man dranbleiben, muss Widerstände managen – nicht bekämpfen, sondern Methoden finden, wie man damit umgehen kann. Und man muss immer wieder aufs Neue erfassen, ob die neue Technologie auch tatsächlich zu den Prozessen, zum Unternehmen und den Nutzer:innen passt und welche Folgeprojekte sich daraus entwickeln. Diese Denkweise ist eher neu: Viele Projekte hatten früher tatsächlich ein fixes Enddatum. Aber durch die digitale Transformation kommen wir in ein Zeitalter, in dem Projekte gefühlt nie abgeschlossen sind – weil Prozesse und Funktionalitäten laufend angepasst bzw. digitalisiert werden. Hier ist es umso wichtiger, die einzelnen Phasen oder Schritte bewusst abzuschließen und diese Teilerfolge auch entsprechend zu kommunizieren, manchmal auch zu feiern. 

Gelungene Digitalisierung: Erfolgreiche Beispiele aus der Praxis

Was sind denn eure liebsten Projekte aus eurer bisherigen Arbeitserfahrung?

Steven: Bei mir ist es ein Intranet, das aktuell von 15.000 Menschen tagtäglich genutzt wird. Das Tolle an dem Projekt ist, dass dabei wirklich von Beginn an die Menschen ins Zentrum aller Überlegungen gestellt wurden und das Unternehmen auch nach Go-Live immer wieder hinterfragt, ob das Intranet noch die Bedürfnisse erfüllt oder Anpassungen vorgenommen werden müssen. Aktuell erarbeiten wir die dritte Phase und die Nutzer:innen haben keine Scheu, Feedback zu geben – was wunderbar ist. Mein zweites Lieblingsprojekt war meine frühere Arbeit als UX-Designer an einem großen österreichischen Jobportal, weil ich dazu beitragen konnte, dass sich Menschen beim Prozess der Jobsuche wohler fühlen. Das ist generell das Beste, was passieren kann: Menschen nutzen dein Produkt gern und können ihre Ziele damit besser erreichen.

Daniela: Eines meiner Lieblingsprojekte ist auch ein Intranetsystem, das aktuell noch entwickelt wird. Die Verantwortlichen haben dort ein zentrales Problem der Nutzer:innen erkannt und sich eine einfache, wirklich tolle Lösung dafür überlegt, die einen enorm hohen Mehrwert bietet und eine sehr hohe User Adoption ermöglicht. Details darf ich noch nicht verraten. Aus meiner früheren Berufserfahrung denke ich gerne an die Digitalisierung einer klinischen Ambulanz in einem Krankenhaus zurück. Chronisch kranke Patient:innen werden dort über viele Jahre betreut, um die Lebensqualität so lange wie möglich so hoch wie möglich zu erhalten. Dementsprechend viele Unterlagen und Daten sammeln sich hier an – und diese so aufzubereiten, dass man sie schnell und Abteilungs-übergreifend verwenden kann, ist gerade im Gesundheitsbereich besonders wichtig. Die Digitalisierung dieser Ambulanz ist in absoluter Co-Creation mit den Anwender:innen aus unterschiedlichsten Berufsgruppen abgelaufen und die genutzte Software ist in iterativen Zyklen entstanden, bis am Schluss alle gut damit arbeiten konnten. Es ist für mich ein Paradebeispiel für einen rundum gelungenen Transformationsprozess.

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